Viele Spätis, nur ein Späzi

Einen Vorteil muss es ja haben, wenn man aus Bielefeld kommt. Welcher das bitte schön sein könnte? Der hier: Dumme Sprüche über meine Vaterstadt können mir nichts anhaben. Ich kenne sie alle. Alle Witze, alle Beleidigung, alle Sprüche habe ich gehört. Ich habe geweint, geschrien, mit den Augen gerollt. Jetzt bin ich immun. Selbst auf den allerneuesten Schenkelklopfer (“Bielefeld gibt’s doch gar nicht”) reagiere ich inzwischen wie ein Blinder, der gesagt bekommt, dass er zwei verschiedene Socken anhat: mit ganz egalem Schulterzucken. 

Mein hart erarbeitetes Bielefeld-Teflon versetzt mich in die bequeme Lage, dass ich über  andere Städte herziehen kann ohne Rücksicht auf Verluste. Wann immer es in einem Thekengespräch um die Vorzüge einer Stadt im Vergleich zu einer angeblich verrotteten anderen geht – und das geht es irgendwann immer -, kann ich die neutrale Schweiz spielen. Aber eine, die von Wladimir Putin regiert wird. Bloß nicht auf eine Seiten schlagen. Aber immer schön Öl ins Feuer gießen.

Wenn der Frankfurter und der Offenbacher, die sich da vor meinen Augen gerade zerfleischen, irgendwann innehalten, mich Feixenden fixieren und fragen: “Wo kommst Du eigentlich her?!” Dann tun sie sich bestimmt zusammen und marodieren verbal durch die, erstens, Puddingpulverstadt, die es, zweitens, gar nicht gibt und in der, drittens, die Rekordfahrstuhlmannschaft Arminia zu Hause ist. Und ich so: ganz egales Schulterzucken.

In meinem persönlichen Umfeld treten am häufigsten München und Berlin gegeneinander an. München, weil ich da wohne. Berlin, weil ich was mit Medien mache. Für die meisten Leute, die was mit Medien machen, ist Berlin so sehr Sehnsuchtsort wie der Jakobsweg für ausgebrannte Finanzamt-Sachbearbeiter (“Die haben mir tatsächlich auch noch alle Nachnamen mit K aufs Auge gedrückt!”).

Ich kann mich da schön raushalten und vor mich hin finden: Ihr solltet beide mal ganz still sein, Münchner und Berliner! Das saubere München, ist so sauber langweilig, dass alle Einwohner ab 30 monatelang einem einzigen Club hinterher geweint haben, als wären ihre letzten drei Crowdfounding-Projekt in die Hose gegangen. Ja, das “Atomic” ist zu, kommt damit klar!

Und Berlin? Naja, Berlin eben.

Eine Sache aber, diese eine gibt es, da hat Berlin die Nase vorn. Da gibt’s nichts zu deuteln. Das kann man nicht „so aber auch nicht sagen“. Doch, kann man! Berlin hat Spätis. München hat Ladenöffnungszeiten wie 1952. Wer in München versucht, nach Mitternacht ein Bier und eine Schachtel Zigaretten zu kaufen für den Heimweg (soll ja vorkommen!), dem bleibt nichts anderes übrig, als nüchtern nach Hause zu trotten, schnurstracks ins Bett zu gehen und sich schnell ins Rund-um-die-Uhr-Rewe-City-Eldorado Berlin zu träumen. Gut, oder er geht zum Kiosk an der Reichenbachbrücke.

Keine Büdchen, keine Trinkhallen – all die Berge, nicht dieser ach so hohe Freizeitwert, keiner der anderen Katalog-Vorzüge Münchens können das Fehlen dieser Schmuckstücke der städtischen Selbstversorgung wettmachen.

Neulich habe ich mit meiner lieben Freundin Sabine Kurznachrichten ausgetauscht. Sabine wohnt in Berlin. Wir bringen uns also auf den neuesten Stand, es ist weit nach zehn, München liegt längst im Bett. Da muss Sabine Schluss machen, weil sie noch zum Späti muss. Der Neid brodelt in mir auf Knopfdruck. Weil ich mir vorstellte, wie Sabine palettenweise Dosenbier aus einem Kiosk schleppt, um dann in die Berliner Nacht zu entschwinden. Berlin schläft nie und so.

Sabine schreibt: “In der Schule von meinem Sohn feiern sie morgen Fasching. Dafür muss ich noch Gummibärchen kaufen.“ So verrückt ist nur Berlin.