Ich stehe dazu

Ich gucke Dschungelcamp. Ich habe dieses Jahr eingeschaltet, die neun Jahre zuvor, und wenn ich nicht demnächst den Amischen beitrete, dann werde ich wieder zuschauen, wie Vormalsprominente mit ihrer Peristaltik im Clinch liegen und am Lagerfeuer die Beichte ihres Lebens beichten. Mittlerweile ist Camp gucken ja so akzeptiert wie Königsberger Klopse. Die Kapern sind zwar nicht jedermanns Sache. Aber wem’s schmeckt … 

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Eingeschaltet hatten von Anfang an Fantastillionen von Emospannern, wie ich einer bin. Das allein war nie Grund genug, als Hobby im Lebenslauf hinter “Lesen” und “Pferde” auch noch “Dschungelcamp gucken” einzutragen. Erst seit eine Gruppe von Leuten mit edlen Federn (nennen wir sie einfach: das Feuilleton) einschlägige Lobeshymnen verfasst hat, darf man auf dem gesellschaftlichen Parkett getrost Niveau-Limbo tanzen und Sprüche von Winfried Glatzeder rezitieren. Das klingt in manchen Fällen zum Daniederknien schön, ist aber im Grunde wieder ein jämmerlicher Fall von urdeutscher Buckeligkeit. Dem Pöbel musste erst Dispens erteilt werden für sein anspruchsloses Tun.

Es begab sich im Jahre 1996. Jan, Stefan und ich hatten gerade Abitur gemacht und wollten nach all den Anstrengungen, die so ein Schulabschluss eigentlich hätte mit sich bringen müssen, tüchtig die Sau rauslassen. Ab nach Mallorca. Nix “Mallorca hat auch schöne Ecken”. Ballermann! Aufstehen nachmittags um fünf, zum Frühstück ein Jägerschnitzel im “Alt Frankfurt”, danach ein, zwei Biere, Nickerchen bis zehn, anschließend Halligalli und Remmidemmi. Und das Ganze wieder von vorn. Die Reise war eindeutig das Dschungelcamp unter den Urlauben.

Mein Vater hatte sich, sobald hochschulreif, in einem rostigen Auto zu den Stätten der griechischen Antike aufgemacht. Das Verlangen nach einer ähnlich anspruchsvollen Tour hatte sich meine Mutter wohl auch für mich gewünscht. Dass daraus nichts geworden war, wurde ihr endgültig bewusst, als sie zufällig in ein RTL-Magazin schaltete, während ich noch auf Mallorca weilte. Sie musste ihrem Sohn dabei zuschauen, wie er vor laufender Kamera mit Harry Wijnvoord eine Polonaise durchs “Oberbayern” lief.

Ich erinnere mich noch, wie viel rhetorische Mühe ich damals und jedes Mal wieder, wenn ich von dem Mallorca-Trip erzählte, darauf verwandte, alle anderen und mich selbst davon zu überzeugen, dass das schon irgendwie okay war, auf das Dumbo-Eiland zu fliegen. Nichts war besser, als einen Stirnrunzler zu verwandeln in ein: “Ach so! Dann ist das natürlich völlig in Ordnung, dass ihr drei Jungs in Kolonialherren-Manier über die Balearen marodiert seid.” Nichts war schlimmer, wenn mich jemand wegen der beiden raderdollen Wochen für einen tumben Ballermann hielt.

Käme ich heute noch mal auf die Idee, mich zwei Wochen lang auf Mallorca wegzuballern, ich würd’s machen, aber niemandem erklären. Wo soll das denn noch hinführen, das ganze Rechtfertigen?

Ich stehe auf Rap von Haftbefehl, aber ich gehe sonntags in die Kirche. Ich habe Kriegsdienst verweigert, aber befürworte Auslandseinsätze. Freunde nennen mich einen “konservativen Sack”, aber ich entscheide mich bei fast jeder Wahl für eine andere Partei. Wie soll ich daraus ein schlüssiges Gesamtbild zusammenzimmern, das auch noch jedem gefällt? Das ist mir zu anstrengend.

Die Moderationen von Sonja Zietlow und Daniel Hartwig sind ganz hintersinnig. Die Stars wissen, worauf sie sich einlassen. “Ich bin ein Star, holt mich hier raus” ist wohltuende Erholung von einer Medienwelt, die so sehr gephotoshoped und so stark geschminkt ist. Morgen lese ich wieder ein Buch, versprochen. Ich weiß sogar, in welchem Jahr der Dreißigjährige Krieg begann. Soll ich sagen? Jetzt musst Du mir doch einfach verzeihen, dass ich ein Dschungelcamp-Zuschauern bin! Quatsch.

Ich gucke Dschungelcamp. Komm damit klar.

Konrad Adenauer war nicht nur Bundeskanzler sondern auch Erfinder. Er erfand klamaukige Utensilien wie ein beleuchtetes Stopfei und klamaukige Sprüche wie diesen: “Nehmen Sie die Menschen, wie sie sind. Andere gibt’s nicht.” Sich selbst zu nehmen, wie man ist, ist ein guter Anfang.