Es gibt Fragen, die bekommt man lieber nicht gestellt: Haben Sie vielleicht noch eine andere Kreditkarte? Werden Sie Angaben zur Sache machen? Möchtest Du zu dieser Dschungelprüfung antreten? Oder man sitzt in der Sauna. Die Gedanken tröpfeln, der Schweiß rinnt. Plötzlich fragt es hinter einem: “Entschuldigen Sie, hat das wehgetan?”
Smalltalk ist eine hohe Kunst. Aber ich bin kein Künstler. Mehr ein Handwerker. Wenn’s drauf ankommt, schnitze auch ich Belangloses aus einer peinlichen Stille. Ich raspel Süßholz, wenn es der Sache dient. Oft tut es ja schon ein Nicken, ein Aha, ein Oho, und das Gegenüber plätschert fröhlich weiter. Das Wetter schlecht. Die Hüfte hin. Der Job: Ach, hör’n Sie auf!
Mein Problem: Ich bin ganz gerne alleine. Ich muss nicht sechs Monate im Jahr in einer bemoosten Hütte auf bretonischer Klippe einsiedeln. Aber jeden Tag etwas gedanklichen Auslauf ohne mitmenschliche Hürden, den brauche ich schon.
Wenn ich morgens in den Frühstücksraum eines Hotels komme und meine Gruppe hat keinen Platz mehr am Tisch: nicht schlimm. Setze ich mich eben woanders hin. “Andreas, dann komme ich mit Dir an den anderen Tisch.” Nee, lass mal. Möchte ich dann sagen, sage ich aber nicht. Verbietet nämlich das Protokoll. Und wer sich daran nicht hält, der bleibt nicht allein, sondern wird einsam. Ganz ohne mit Menschen geht es nun mal nicht.
An einem seligen Ort, da gehen Eigenbrötler und gesellschaftliche Konvention Hand in Hand: in der öffentlichen Sauna. An den Wänden mag stehen: Keinen Schweiß aufs Holz! Doch die oberste Regel in der textilfreien Zone lautet eigentlich: Wer quatscht, fliegt raus! Erst recht auf einer friesischen Insel. Im Januar. Wenn hier so viel Betrieb herrscht wie auf dem Flughafen Berlin-Brandenburg zur letzten Hochsaison.
Dachte ich zumindest.
Ich drehe mich trägtriefend um und sehe in die Golddoublé umrahmten Knopfaugen eines geschätzt Siebzigjährigen. Er lächelt dieses Lächeln, das Erstklässler tragen, wenn es mit der ganzen Klasse zur Feuerwehr geht. Die kleinen Zeigefinger hasten von den Atemschutzmasken zu den Schläuchen, zum, boah, Leiterwagen, und den Feuerwehrkameraden wird ganz schwindelig vom “Was ist das?”-Gequäke. Der Zeigefinger des Siebzigjährigen deutet auf eine Tätowierung in meiner Haut.
“Nein, tat es nicht.” Zu mehr Antwort kann ich mich nicht aufraffen. Immerhin verziehe ich den Mund zu so etwas wie Lächeln. Ein Kopfschütteln, ein Augenrollen, sogar eine Slapstickeinlage wäre angesichts der dämlichen Frage durchaus vertretbar gewesen. Vielleicht Hände auf die Ohren schlagen und schreien: “Die Stimmen! Oh nein, sie sind wieder da!” Aber ich bin nur Gast hier. Fürs Erste bleibt die Kirche im Dorf.
Schnelles Handeln ist jetzt gefragt. Den Schnack ersticken noch in der Aufwärmphase. In einem Café würde ich genau jetzt das Buch hervorkramen, das ich zur Mitmenschabwehr stets bei mir trage, und die Nase tief hineinstecken. Öffentliche Verkehrsmittel bieten Stinkstiefeln wie mir stets einen bequemen Ausweg: “Oh, ich muss leider raus.” Aber in der Sauna? Womit soll ich hier bitte anderweitig Beschäftigtsein schauspielern mit nichts als einem Handtuch als Requisite?
Ich müsste schon einen Herzinfarkt simulieren oder wenigstens eine kleine Ohnmacht, um dem dräuenden Smalltalk zu entkommen. Aber dann ist das Theater gleich noch viel größer. Bademeister. Tatütata. “Bedecken Sie den jungen Mann doch erst mal mit einem Handtuch da unten!” Mit der Nummer verdränge ich am Ende noch den neuen Azubi-Jahrgang der Kreissparkasse als Aufmacher in der Lokalzeitung.
Also starre ich stattdessen wieder nach vorne und bete zum finnischen Saunagott, er möge Stille einkehren lassen. Mein Finnisch ist offensichtlich stark verbesserungswürdig. Zumindest erhört der Saunagott mich nicht. “Ja, so was sieht man ja jetzt immer häufiger. Der Sohn meiner Nachbarin, der hat so ein Ding sogar am Hals. Aber der ist auch ein Nazi.” Das war’s dann wohl. Ring frei. Vorhang auf. Wir müssen reden.
Ich bin überrascht, worüber mancher sich so unterhalten mag mit nackten Fremden. Araber in München. Preiselbeeren. Wimbledon ‘85. Für nichts ist dem Siebzigjährigen die heiße Luft zu schade. Gottlob, er sucht kein echtes Gespräch. Meine Ahas und Ohos, auf die hat er’s abgesehen. Als der Monolog auf die örtlichen Immobilienpreise zusteuert (“Grotesk!”), ist das für mich das Stichwort. Ich verabschiede mich kurz in die Bretagne und kalkuliere, wie viele Banken ich überfallen müsste, um doch noch Klippenhüttenbesitzer zu werden.
Meine geistige Abwesenheit bleibt nicht unbemerkt: “Geht es Ihnen nicht gut?” Vielleicht hat der Saunagott nur ein Nickerchen gemacht. Egal, jetzt ist er wieder da! Ich stehe auf. Das Saunatuch, das das Holz vor Schweiß, aber mich nicht vor anderen Menschen beschützen konnte, werfe ich über die Schulter. “Ich muss leider raus. Ich glaube, ich werde ohnmächtig.”