Jetzt reicht’s. Dreimal Nacktscanner. Zweimal Schuhe aus und wieder an. Ungezählte Male meine Reisepläne gerechtfertigt vor Uniformträgern, die mir mit einer Herzlichkeit begegnen, als hätte ich Buletten bestellt in einem veganen Restaurant. Alles ok. Dient ja auch meiner Sicherheit. Aber irgendwann ist Schluss!
Vor mir auf dem Edelstahl-Tisch liegt mein geöffneter Koffer. Die junge Frau von der Homeland Security weidet meine Kulturtasche aus. “This is too big, this is too big …” Shampoo, Duschgel, eine Flasche nach der anderen landet auf dem Tisch. Einreise verweigert.
Bis jetzt habe ich alle Sperenzien untertänigst ertragen. Bei aller Freiheitsliebe bin ich tief drin wohl doch der Typ Hacken zusammenschlagen, Hand an die Hosennaht. Oder ich stehe einfach zu wenig auf Elektroschocks. Warum auch immer: Den irren Sicherheitswahn, die stoischen Kommandos, den Dauerverdacht, man könnte Anthrax, Tierdung oder eine deutsche Möhre im Gepäck haben, fand ich noch zum Schmunzeln. Aber das hier, jetzt, in diesem Augenblick ist so wahnsinnig. Da wäre nicht mal Kafka drauf gekommen.
Ich will nur das Gebäude verlassen, eben durch die Tür gehen, 20 Schritte noch. Die NSA hat gesagt, ich darf das. Ich bin gelandet, ein freundlicher Herr hat meine Fingerabdrücke gescannt und dann einen bunten Stempel in meinen Reisepass gedrückt. Ich hab das also schriftlich! Aber die Frau mit dem Shampoo-Tick macht jetzt Generalinventur mit meinen Utensilien für die Morgentoilette, anstatt mich rauszulassen. Ohne Koffer könnte ich längst weg sein. Aber ich hätte meinen Koffer nun mal gerne dabei. Prinzessin, ich.
“Entschuldigen Sie, Ma’am. Nur dass ich das richtig verstehe: Meine Shampoo-Flasche ist zu groß für Ihr Land?” Ich muss lachen, geht nicht anders. Im Kopf sehe ich mich schon elektrogeschockt auf dem Flughafenboden zappeln ob meines ungebührlichen Verhaltens. Gottlob ist die Frau in der bunten Uniform nicht nur humorlos, sondern auch ironiefrei: “Yes, Sir.” Bei uns zu Hause sagen Türsteher: “Nicht mit den Schuhen.” Hier sagen sie: “Nicht mit dem Shampoo.”
Vier Stunden nach der Landung sitze ich schließlich im Raucherbereich vor dem Hartsfield-Jackson International Airport in Atlanta. Ohne Koffer. Den werde ich erst an meinem eigentlichen Reiseziel wiedersehen. Hier bin ich nur gestrandet, hier will ich gar nicht sein. Aber mein Anschlussflug flog ohne mich.

Immerhin habe ich jetzt Zeit. Zeit, mir Gedanken zu machen: Darüber, wie es Tourette-Patienten schaffen, in die USA einzureisen. Darüber, ob es ein Zufall sein kann, dass die Zombieserie “The Walking Dead”, mit der ich mir eben auf dem Flug die Augen viereckig geglotzt habe, in der Gegend um Atlanta spielt. Der Stadt, in der ich selbst so viele Untote kennenlernen durfte. Und ich kann darüber sinnieren, wie sehr ich Fliegen im Grunde schon immer verachtet habe.
Mir flattert das linke Augenlid, wenn ich nur daran denke, an die “ersten Flieger” die von einer deutschen Stadt in die nächste hüpfen, vollgestopft mit Unternehmensberatern in schlechtsitzenden Anzügen. Oder das Gegenstück zum Roland-Berger-Bomber: das “Malle ist nur einmal Jahr”-Shuttle. Wer da nicht nach der Landung klatscht, ist entweder schon zu besoffen oder hätte die Thrombose-Warnung seines Hausarztes besser nicht in den Wind geschlagen.
Das Widersinnigste am Fliegen ist und bleibt aber die Zeit, die man aufwenden muss, um dieses schnellste aller Fortbewegungsmittel in Anspruch zu nehmen: die Fahrt zum Flughafen in der Pampa, das eine Stunde vorher Dasein, die Schlange am Check-in, die Schlange am Sicherheitscheck, das Warten aufs Boarding, das Alle-springen-aus-ihren-Sitzen-sobald-das-Anschnallzeichen-erschlicht-dabei-dauert-es-noch-ewig-bis-sich-die-Tür-öffnet. Mehr Schlange stehen gibt’s nur in den letzten Heimstätten des Kommunismus.
Das alles – und noch viel mehr – hat meinen Zombie-Flug am Ende auf 36 Stunden aufgeblasen. Nicht viel länger dauert es übrigens, jemanden auf den Mond zu schießen. Aber Astronauten-Shampoos werden wahrscheinlich in kleineren Größen abgefüllt.