Ich habe gestern den schönsten Satz gelernt: “Wenn man schreibt, dann kann man nicht saufen.” Das landläufige Klischee geht ja in genau die andere Richtung. Auch ich habe im Laufe meines Journalisten-Lebens so manchen kennengelernt, der dem Motto oben mit dem Inhalt seiner Schreibtischschublade entgegentrat. Zum Kreativsein und zu dem, was das Nicht-Saufen damit zu tun haben könnte, später mehr. Nur fürs Protokoll: Ich schreibe das hier nicht, um mich vom Mariacron abzulenken!
Darum geht’s diesmal: eine sogenannte Plattform, Epiphanie, Ritter, Yung Hurn, wenig Geld und viel Spaß, einen Wal und France Gall
Darum geht’s nicht: wie Theresa May versucht hat, die Sommerpause vorzuverlegen, weil jeden Tag eine neue Schicksalsabstimmung auf Dauer ermüdet, ob “Morgen ist auch noch ein Tag” die richtige Devise für Gerichte ist, die einer Ausländerbehörde ihre Asylentscheidung mitteilen wollen
Der Mark der Woche
Mark Zuckerberg hat Kara Swisher vom Techblog “Recode” ein Interview gegeben. Das allein ist bemerkenswert. Wenn sich der CEO des fünftwertvollsten Unternehmens der Welt über eine Stunde Zeit nimmt für einen Podcast, dann wird der CEO (trotz “Recode”, trotz „Podcasts sind der neue Fidget Spinner“) einen Erklärungsdruck spüren. Zu erklären hat Mark Zuckerberg seit Cambridge Analytica ständig etwas. Datenschmuh, Fake News, Hatespeech sind die Reizworte. Aber wir hätten auch noch Dopamin-Junkies, behavioral manipulation und mürbe Kinderhirne. By the way, wie wir im Silicon Valley sagen, was denkt eigentlich Pawlow, wenn er oben auf seiner Wolke sitzt und zwei Teenagern von heute zuguckt? “Hat er dein Insta geliket?” – “Nein, immer noch nicht, dieser Hurensohn, gegen die Menschheit!”
Mark Zuckerberg also hat “Recode” einen Satz gesagt, der seine PR-Leute anschließend tief in die Schreibtischschublade greifen ließ: “As abhorrent as some of those examples are, I think the reality is also that I get things wrong when I speak publicly. […] I just don’t think that it is the right thing to say, ‘We’re going to take someone off the platform, if they get things wrong, even multiple times.’” Was der Mark mit “those examples” meint, ist Holocaust-Leugnung auf Facebook. Wenn also jemand denkt, der Holocaust habe nie stattgefunden, was nach Zuckerbergs Überzeugung aus Versehen passieren kann, und wenn der Jemand dieses irrige Wissen auf Facebook kundtut, dann muss der Jemand nicht fürchten, dass er oder sein kleines Versehen von Facebook gelöscht wird. Das kann man so sehen. Sollte man aber nicht.
Wegen des Zuckerberg-Satzes die Entrüstungsbazooka zu zücken und auf die Holocaust-Leugnung zu ballern, ist simpel (Heiko Maas hat das gemacht, q.e.d.). Zuckerberg hat nicht den geringsten Zweifel daran gelassen, dass ihm selbst die Galle hochkommt, wenn einer sagt, den Holocaust habe es nicht gegeben. Es geht auch nicht um unterschiedliche Auffassungen von Meinungsfreiheit hüben wie drüben (die Facebook genau kennt und deshalb in Deutschland, Österreich und den Niederlanden sehr wohl Holocaust-„Versehen“ löscht). Am Ende geht es darum, dass Facebook nicht aufhört, nur eine Plattform sein zu wollen. In tumber Naivität tanzt die Chefetage um die Höllenmaschine herum und jubiliert, wenn die Maschine nur schnurrt und pufft und pafft. Die gesellschaftliche Bedeutung wird wegvergessen. Bis sie Zuckerberg endlich einfällt, wird der Mark noch viele Podcasts besuchen müssen.
Der Amisch der Woche
Wie in der letzten “Eskapade” gesagt, hatte ich diese Woche drei freie Tage geplant. Ganz ungeplant war, dass ich im Überschwang eine Wette eingehen würde, und deshalb die drei Tage nicht nur frei, sondern auch komplett offline war. Übers digitale Detoxen ist nun wahrlich genug geschrieben worden. Deshalb nur so viel: Es ist gut, es ist ganz überraschend, und ich habe Dinge gelernt, die ich sonst nicht gelernt hätte (weil ich seit Jahren zum ersten Mal wieder eine Zeitung von vorne bis hinten durchgelesen habe).
Wer hätte das gedacht:
- Das Wort “Epiphanie” sollte man viel öfter benutzen. Wofür, weiß ich noch nicht.
- Es gab einen Film, der “Sicario” heißt und der Thriller-Hit des Jahres 2015 war? Offensichtlich. Denn jetzt kommt schon der zweite Teil. Der is aber nix. “Schreiben ja alle.”
- Beim Malteser-Orden, da geht’s rund. Deutsche gegen Angelsachsen, Geld, Poltik, Hochadel, da ist für jeden was dabei [Blendle]. Dan Brown, übernehmen Sie!
- Ich halte den Rapper Yung Hurn für einen reichlich überschätzten Druffie. Aber seinen Spitznamen, Falco Süßgott [Blendle], den find ich knuffig.
Mehr davon: Als der Fan geschmacklosen Sprechgesangs, der ich nun mal bin, will ich feststellen, dass mein Yung-Hurn-Rant nur auf eben diesen Yung Hurn zielt. Man muss Rap nicht mögen, aber solltest Du ein kleines, verheißungsvolles Medienunternehmen führen und auf der Suche nach einem Verleger sein, solltest Du Dir den ein oder anderen Rapper-Namen merken: Chance the Rapper ist so ein Name.
Die Asketen der Woche
Dass Kreative so viel Geld unter der Matratze haben wie Chance the Rapper, ist selten. “Arm ist man nicht, aber man verdient deutlich weniger”, sagte Lisa Basten am Donnerstag dem Deutschlandfunk Kultur übers Kreativenschicksal. Basten ist Soziologin und Texterin und forscht seit geraumer Zeit zum über die Runden Kommen von Malern, Schreibern und den anderen. 2016 erschien ihre Buch “Wir Kreative! Das Selbstverständnis einer Branche”.
Dass brotlose Künste trotzdem so viele gut ausgebildete Menschen anziehen, die sich dann von 23-Jährigen, die mit dem Hin- und Herschubsen von Excel-Tabellen das Achtfache verdienen, schief angucken lassen, hängt laut Basten auch damit zusammen, dass der Künstler die Kunst als große Möglichkeit zur Selbstverwirklichung sieht. “Labour of Lust” nennt sie das. Das sei einerseits toll, aber andererseits auch “das Zentrum des Problems”. Denn wer so große Erfüllung findet in seiner Arbeit, der nimmt auch ganz viel Schindluder in Kauf. Vom 23 Jahre alten Budget-Verantwortlichen mit Excel-Tabelle zum Beispiel.
Der Nachträge der Woche
Die an dieser Stelle vorgelegte, sehr fundierte und ausreichend belegte Theorie vom Algorithmus-gesteuerten Trump wurde in dieser Woche ein weiteres Mal untermauert. Nachdem der Manchurian-Präsident am Montag in Helsinki weltöffentlich gesagt hatte, er vertraue dem Wort von Wladimir Putin ebenso sehr wie den Erkenntnissen seiner eigenen Geheimdienste, stellte er anschließend richtig, er habe das Gesagte ein wenig anders gemeint, also exakt das Gegenteil. Offenbar hat die Trump-Remote-AI noch Kinderkrankheiten. Alle also noch mal beruhigt zurücklehnen, bitte! Der Trump ist gar kein schlechter Präsident. Der ist noch in Beta.
Die Odyssee von Mathias Müller von Blumencron geht weiter. Wir dachten mit dem Ruder-Dingens am was auch immer sei die Saga vom ehemaligen Spiegel-Digitalisten längst auserzählt. Aber dann das Unfassbare: Die “Red” rammt einen Wal! Und ich denke über den ersten “Eskapade”-Liveticker nach: “13 Uhr 56 – Instinktiv luvt Mathias Müller von Blumencron an, und versucht, dem gewaltigen Tier auszuweichen. Vergeblich!” Alle Menschen sind übrigens wohlauf. Wie’s dem Wal geht, ist nicht überliefert.
Das Lied der Woche
Hatte ich erwähnt, dass ich drei Tage frei hatte? Ja, viel zu oft. Deshalb kurz und knapp: Good Girls, unbedingt gucken. Serie toll, Soundtrack auch. Am Ende von Folge eins erklingt France Gall mit einem Lied aus der Vorvor-”Ella, elle l’a”-Phase.
Salut!
Die älteren Eskapisten werden feststellen, dass ich noch immer mit dem Format herumprobiere. Das liegt daran, dass das Hadern mit mir und das Martern meiner selbst nicht aufhören will. Gerade piesacken mich die Zwischenüberschriften: Dies und das DER WOCHE. Echt jetzt?
Bis nächste Woche.
Andreas
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